Am 5. Mai ist Tag der Inklusion. Das ist kein Feiertag, sondern ein Protesttag für mich, denn bei der Inklusion gibt es viele Baustellen in Österreich. Ich weiß das, denn als Frau mit Behinderung bin ich in meiner Ausbildung und im Berufsleben auf Hürden gestoßen. Davon möchte ich erzählen.

Inklusion Bildung Gehalt Lohn Taschengeld Teilhabe
Fordert mehr Teilhabe ein: Nicole Braunstein, Mitglied des Selbstvertretungsbeirats der Lebenshilfe Österreich.
Foto: Peter Eckardt

Ich habe zuerst einen heilpädagogischen Kindergarten besucht, in dem nur Kinder mit Behinderungen waren. Dort habe ich mich nicht wohl gefühlt. Glücklicherweise hat eine aufmerksame Kindergärtnerin das erkannt und mir den Weg in einen integrativen Kindergarten ermöglicht. Dort bin ich richtig aufgeblüht. Durch die Durchmischung von Kindern mit und ohne Behinderungen passierte "Inklusion" in der Gruppe fast ganz von allein. Ich war von Anfang an integriert.

Danach habe ich eine integrative Volksschule, später die Integrations-Klassen in einer Hauptschule besucht. Ich finde, dass auch in der Schule von Anfang an eine Durchmischung von Kindern mit und ohne Behinderungen stattfinden sollte. Aber das allein reicht in der Schule nicht mehr aus. Um Kinder mit Behinderungen in einer Klassen-Gemeinschaft zu integrieren, brauchen Schulen zusätzlich Mittel. Zum Beispiel mehr Betreuungspersonal und Assistenzen, um die individuellen Bedürfnisse aller Kinder zu erfüllen.

"Taschengeld sollten Kinder von ihren Eltern bekommen! Nicht Erwachsene, die 38 Stunden in der Woche arbeiten und ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten."

Mein Weg nach der Hauptschule und dem einjährigen Polytechnischen Lehrgang führte mich schließlich zur Lebenshilfe Steiermark. Dieser Weg, als einzige berufliche Möglichkeit, wurde mir ohnehin schon seit frühester Kindheit vorhergesagt. Neben der Arbeit in der Tageswerkstatt habe ich die Berufsschule besucht und eine Ausbildung zur Büro-Kauffrau gemacht. Nachdem ich die Lehrabschluss-Prüfung nicht geschafft habe, habe ich eine Teil-Qualifizierung gemacht. Das bedeutet, ich habe eine vereinfachte und weniger umfangreiche Prüfung abgelegt. Diese Prüfung wird zwar anerkannt, hat aber in meinem Fall nicht gereicht, um auch einen Job zu bekommen. Mir war es aber immer sehr wichtig, einen Berufs-Abschluss zu haben. Ein paar Jahre später habe ich dann die Lehrabschluss-Prüfung wiederholt und bestanden.

Finanziell abhängig

Heute arbeite ich in einer Tageswerkstätte. Die Arbeit, vor allem die Kundenbetreuung, macht mir viel Spaß. Dabei bin ich unter Menschen, es ist abwechslungsreich, und täglich warten neue Herausforderungen auf mich. Kundenbetreuung bedeutet, ich unterstütze andere Menschen mit intellektuellen Behinderungen. Zum Beispiel berate ich sie bei alltäglichen Dingen und Entscheidungen, mit denen sie konfrontiert sind, ich beantworte ihre Fragen oder kläre, wohin sie sich wenden können, wenn ich ihnen nicht weiterhelfen kann.

Ich finde es aber sehr frustrierend, dass ich für meine Arbeit kein Gehalt, sondern nur Taschengeld von 119,10 Euro im Monat bekomme. Das Gesetz sieht das so vor, obwohl ich genauso arbeite wie andere Menschen auch. Das ist ungerecht. Taschengeld sollten Kinder von ihren Eltern bekommen! Nicht Erwachsene, die 38 Stunden in der Woche arbeiten und ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten. Ich bin dadurch finanziell von meinen Eltern abhängig. Zum Beispiel bin ich bei meinen Eltern mitversichert und werde wahrscheinlich nie eine Pension bekommen. Dabei gehe ich arbeiten wie andere erwachsene Menschen auch!

Geeignete Arbeitsplätze

Die Forderung nach "Lohn statt Taschengeld" für knapp 30.000 Menschen in Werkstätten unterstütze ich voll und ganz! Es ist auch wichtig und wird Zeit, dass Menschen mit intellektuellen Behinderungen im regulären Arbeitsmarkt arbeiten dürfen! Wir brauchen sinnvolle Aufgaben für Menschen mit intellektuellen Behinderungen. Und wir brauchen geeignete Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen in integrativen Betrieben. Die Arbeit, die Menschen mit Behinderungen machen, muss auch entsprechend fair bezahlt werden.

Mein persönliches berufliches Ziel ist, meine Arbeitswoche "aufzuteilen". Ich könnte mir vorstellen, zum Beispiel in Teilzeit am regulären Arbeitsmarkt tätig zu sein und ein Gehalt zu bekommen. Und trotzdem weiterhin einige Stunden in der Werkstätte der Lebenshilfe zu arbeiten.

Nicht geklärt

Ganz in den regulären Arbeitsmarkt zu wechseln traue ich mich nicht. Denn vieles ist noch nicht geklärt und unsicher. Zum Beispiel: Wie können wir Menschen mit intellektuellen Behinderungen finanziell absichern, wenn sie am regulären Arbeitsmarkt arbeiten wollen, aber nicht zurechtkommen? Könnten sie wieder in die Werkstatt "zurückwechseln"? Steht uns dort überhaupt weiterhin ein Platz zu? Bekommen wir dann die Beihilfen wieder bezahlt? Darüber müssen wir nachdenken!

Trotzdem: Es ist an der Zeit, dass Menschen mit intellektuellen Behinderungen die Anerkennung und Wertschätzung erhalten, die sie verdienen. Wir leisten einen wertvollen Beitrag zur Gesellschaft! Dafür müssen wir auch entsprechend entlohnt werden. Lohn statt Taschengeld und das Recht, arbeiten zu gehen: Das ist kein Luxus, sondern ein Grundrecht. Für alle! (Nicole Braunstein, 5.5.2024)