Gerti Drassl richtet im Kosmos Theater Wien
Kosmos-Theater, "Nachsagungen.".
Kosmos Theater/Frenzel

"Der Mord an Frauen. Das ist ein alltäglicher Vorgang. Und alle helfen mit. Die Gesetze. Die Gerichte. Die Medizin. Die Arbeitgeber." Diese Aussagen in Marlene Streeruwitz' neuem Stück Nachsagungen. (mit Punkt am Ende) untermauert das Programmheft zur Uraufführung mit statistisch erhobenen Daten. Jede dritte Frau in Österreich ist demnach von körperlicher und/oder sexueller Gewalt innerhalb oder außerhalb intimer Beziehungen betroffen (Statistik Austria 2021). Mehr als jede vierte Frau erfährt sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Acht mutmaßliche Femizide und zwanzig Mordversuche sind seit Jahresbeginn 2024 zu verzeichnen.

Das neue Theaterstück Streeruwitz', ein Auftragswerk des Kosmos-Theaters Wien, lässt die Opfer zu Wort kommen. Die Absicht dahinter ist es, in einer Serie von aufeinanderfolgenden Monologen den Fokus auf diejenigen zu richten, die im öffentlichen Diskurs und im medialen Gedöns rund um solche Schreckenstaten außer Acht bleiben, weil das Verbrechen und der Täter mehr Interesse erwecken als die Getöteten. In einem fast bühnengroßen Lichterrahmen tritt Gerti Drassl näher, um sich in kleinen Reden, in ebendiesen Nachsagungen, die Umstände der jeweiligen Tötung vor Augen zu führen.

Tonlage der Trauer

Alles bleibt dabei abstrakt. Drassl wechselt ihre Rollen auf subtile Weise, indem sie Kleidungsstücke nach und nach ablegt, die Frisur ein wenig verändert, auch ihre Stimme, den Standort, die Haltung – beeindruckendes Schauspiel im Millimeterbereich. So spricht sie als die Freundin einer in einer Gewaltbeziehung zugrunde gegangenen Frau; sie spricht als ein pensionierter Polizist, der seiner Hilflosigkeit gewahr wird; als eine Mutter, deren Tochter ermordet wurde; als jemand von einer Beratungsstelle. Und als eine Frau, die den Angriff überlebt hat.

Der von Laura Andreß und Stefan Schweigert künstlerisch verantwortete Abend entscheidet sich für eine durchgehende Tonlage der Trauer. Mit jeder neuen Geschichte erscheint an der rückwärtigen Leinwand, durch die ein blutroter Riss geht (Bühne: Martin Siemann), der Schatten einer weiteren Person. Nebel schießt von beiden Seiten in den Bilderrahmen, sphärische Musik ertönt. All das mag kunstvoll sein und würdig, beschreibt aber weniger einen Theaterabend als eine Trauerveranstaltung. Ein Betroffenheitsmoment türmt sich auf den nächsten.

"Wir müssen die Menschen zurücktrauern", heißt es im Text. Und genau das macht auch diese Bühnenarbeit. Sie lässt das Publikum mittrauern. Als Theaterabend eignet sich diese Geste kaum, denn sie hat keine andere Handhabe als das Gefühl der Bedrückung. Man sitzt geplättet und deprimiert vor den menschlichen Katastrophen, an denen man mehr oder weniger Anteil nehmen kann. Schwer beladen geht man hinaus. (Margarete Affenzeller, 5.5.2024)