Der Verfassungsgerichtshof muss sich schon wieder mit dem Politeinfluss auf die obersten ORF-Gremien beschäftigen: Der Presseclub Concordia hat diese Woche eine Beschwerde an das Höchstgericht geschickt. Die Concordia argumentiert, sehr grob zusammengefasst: Es fehle eine rechtliche Kontrolle über Besetzungen im Publikumsrat – und damit eine Kontrolle über die per Verfassungsgesetz verlangte Unabhängigkeit der ORF-Räte.

Nun liegt es beim Höchstgericht, ob es die Beschwerde aufgreift – und dieser Argumentation folgt. Wenn ja, dann "könnten im besten Fall die Einflussmöglichkeiten der Politik massiv eingeschränkt werden", hofft die Concordia. Und das "weit über die jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs hinaus".

Augenlogo vor dem ORF-Zentrum.
Politeinfluss auf den ORF und seine Gremien beschäftigt schon wieder den Verfassungsgerichtshof: Augenlogo vor dem ORF-Zentrum.
Harald Fidler

"Falsch ausgelegt oder verfassungswidrig"

"Wenn Bestimmungen, die zentral für die Gewährleistung der Unabhängigkeit des ORF sind, nicht überprüfbar sind, dann sind die Bestimmungen, die diese Überprüfbarkeit verhindern, nicht mit dem Bundesverfassungsgesetz Rundfunk vereinbar", argumentiert die Concordia: "Entweder legen Regulierungsbehörde und Bundesverwaltungsgericht die gesetzlichen Bestimmungen falsch aus, oder die gesetzlichen Bestimmungen, die diese Überprüfung verbieten, sind verfassungswidrig." Für die Klärung dieser Frage sei der Verfassungsgerichtshof zuständig.

Der Verfassungsgerichtshof hat erst im Herbst 2023 Teile des ORF-Gesetzes aufgehoben, weil er zu viel Regierungseinfluss auf den ORF-Stiftungsrat sah. Bis Ende März 2025 hat er dem Gesetzgeber Zeit gegeben, die aufgehobenen Bestimmungen durch verfassungskonforme zu ersetzen; ÖVP und Grüne verhandeln über eine Reparatur noch vor der Wahl. Die Beschwerde der Concordia richtet sich gegen andere Bestimmungen des ORF-Gesetzes und gegen Politeinfluss in weiterem Sinne. Sie greift aber die Argumentation des Höchstgerichts in seiner ersten Entscheidung vom vergangenen Herbst auf.

Außer Kontrolle

Anlass für die Concordia-Beschwerde: Medienministerin Susanne Raab bestellte 2022 Publikumsräte, die nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprochen hätten. Dreiervorschläge müssten von repräsentativen Organisationen für bestimmte Publikumsgruppen kommen, verlangt das Gesetz. Raab bestellte teilweise Einzelvorschläge von Vereinen für Gruppen, für die es auch Dreiervorschläge tatsächlich repräsentativer Institutionen gegeben hätte.

Die Concordia, ein Verband von Journalistinnen und Journalisten vor allem zur Verteidigung der Pressefreiheit, hat eine Publikumsbeschwerde gegen die Bestellung organisiert. Die unzulässig bestellten Publikumsräte hätten in der Folge gesetzwidrig beschlossen, sechs Mitglieder des Gremiums in den gewichtigeren ORF-Stiftungsrat zu entsenden. Die nach ihrer Rechtsansicht wiederum unzulässig bestellten Stiftungsräte hätten den Vorsitzenden gesetzwidrig gewählt. All das hätte die Behörde laut Publikumsbeschwerde feststellen sollen.

Abgeblitzt: Die Medienbehörde Komm Austria wies die Beschwerde ab. Argument: Sie sei nur für die Kontrolle und Aufsicht des ORF und seiner Tochterunternehmen zuständig, nicht aber für die Kontrolle der Tätigkeit von Ministerinnen und Ministern. Also sei sie auch für alle weiteren Beschwerdepunkte nicht mehr zuständig, weil schon für den Ausgangspunkt nicht entscheidungsbefugt.

Das Bundesverwaltungsgericht als zweite Instanz bestätigte die Position der Komm Austria. Ohne mündliche Verhandlung, moniert die Concordia. Und ohne die von ihr zu Politeinfluss und Sidelettern beantragten Zeugen zu befragen: Sebastian Kurz, Werner Kogler sowie die Stiftungsräte Lothar Lockl (Grüne) und Thomas Zach (ÖVP), die Sideletter über ORF-Besetzungen vereinbarten.

Das ist einer der Angriffspunkte der Beschwerde beim Höchstgericht – das Verfassungsrecht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter beziehungsweise auf Rechtsschutz sei verletzt, ebenso auf mündliche Verhandlung nach der Grundrechtecharta der EU. Aber die Beschwerde setzt noch mehrere Hebel und einige davon noch grundlegender an. Der ebenfalls von der Verfassung gebotene Gleichheitsgrundsatz sei etwa verletzt sowie das Recht auf Informationsfreiheit.

Unvereinbarkeit "einfach zu ignorieren"

Laut ORF-Gesetz wacht die Medienbehörde Komm Austria über die Einhaltung des ORF-Gesetzes, argumentiert die Concordia. Das könne nicht auf Handlungen des ORF und seiner Töchter selbst beschränkt sein. Denn, so heißt es in der Beschwerde mit Blick auf das Verbot aktiver Politiker in ORF-Gremien: "Vertritt man die Rechtsauffassung, dass die Regelungen der persönlichen Voraussetzungen und der Bestellvorgänge einer Überprüfung durch die Regulierungsbehörde entzogen sind, laufen diese gesetzlichen Regeln ins Leere. Im Ergebnis würde es eine solche Sichtweise etwa erlauben, die Unvereinbarkeitsregeln ganz einfach zu ignorieren und etwa Bundeskanzler, Landeshauptleute, Parteivorsitzende oder Klubobmänner in den Stiftungsrat zu entsenden." Und: "Eine derartige Absicht kann dem Gesetzgeber nicht ernsthaft unterstellt werden."

Damit würden wesentliche Bestimmungen im ORF-Gesetz zur Sicherung der Unabhängigkeit des ORF und seiner Organe sinnlos. Das Bundesverfassungsgesetz Rundfunk verlangt aber, diese Unabhängigkeit per Gesetz sicherzustellen. Die Concordia würde eine Unzuständigkeit der Medienbehörde im Widerspruch zu diesem Verfassungsgesetz Rundfunk und zu Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Informationsfreiheit) sehen.

"Willkürliche Auswahl nach Partei oder Willfährigkeit"

Der Verfassungsgerichtshof selbst habe in seiner Entscheidung vom Herbst 2023 Regelungen über Unvereinbarkeiten und persönliche Anforderungen an Stiftungsräte und Publikumsräte als Maßnahmen zur Sicherung von Unabhängigkeit und Vielfalt eingeordnet. Wesentlich für die Unabhängigkeit des ORF sei dabei aber, "dass für den Stiftungsrat und seine Mitglieder die Unabhängigkeit … auch tatsächlich besteht", zitiert die Concordia das Höchstgericht.

Ohne rechtliche Kontrolle aber sei das nicht der Fall, argumentiert nun der Presseclub in seiner Beschwerde: "Wenn aber Unvereinbarkeiten oder Eignungen und Kenntnisse bei der Auswahl von Gremienmitgliedern nicht berücksichtigt werden, oder der Auswahlprozess nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht, und dies nicht überprüfbar ist, sind die genannten Bestimmungen praktisch bedeutungslos, und ihre unabhängigkeits- und pluralismussichernde Wirkung geht ins Leere. Eine fehlende Kontrolle würde der Bundesministerin die Möglichkeit eröffnen, eine willkürliche Auswahl von Publikumsräten, etwa nach Parteizugehörigkeit oder politischer Willfährigkeit, zu treffen, Bestellungsregeln und insbesondere Unvereinbarkeitsregeln zu missachten und dadurch unzulässigen Einfluss auf den ORF zu nehmen."

"Mangel an demokratischer Legitimation"

Und: "Bei Gremienmitgliedern, die durch ein Vollziehungsorgan in einem Prozess bestellt werden, der nicht überprüfbar ist, herrscht demnach ein Mangel an demokratischer Legitimation. Es ist daher in Zweifel zu ziehen, dass solchermaßen bestellte Personen überhaupt Repräsentanten der Allgemeinheit im Sinne der Anforderungen an öffentlich-rechtlichen Rundfunk sein können."

Die Beschwerde habe zudem nur die Feststellung von der Medienbehörde verlangt, dass die Bestellung von Publikumsräten durch die Ministerin dem Gesetz widersprach und keine Aufhebung, betont die Concordia gegenüber dem Verfassungsgerichtshof.

Den Gleichheitsgrundsatz etwa verletzte die Position der bisherigen Instanzen, wenn ein Teil der Bestellungen von Publikumsräten von der Medienbehörde kontrolliert werde – etwa jene von Parteiakademien und Kirchen, Kammern, Gewerkschaft und Akademie der Wissenschaften. Nicht aber andere Publikumsräte, die von Bundeskanzler beziehungsweise Medienministerin bestellt werden.

"Rechtsaufsicht unwirksam" und verfassungswidrig

Die Concordia schließt aus ihrer Argumentation: Wenn die Rechtsansicht der Medienbehörde und des Bundesverwaltungsgerichts dem Gesetz entspricht, dann wäre das Gesetz "unsachlich und würde gegen mehrere verfassungsrechtliche Vorgaben verstoßen, insbesondere gegen das Bundesverfassungsgesetz Rundfunk". Für den Fall regt die Concordia an, der Verfassungsgerichtshof möge die Bestimmungen über die Aufsicht über das ORF-Gesetz von sich aus prüfen. Denn: Eine Rechtsaufsicht, "die bei einer offenkundigen Verletzung" von Bestimmungen des ORF-Gesetzes "nicht einmal die Feststellung dieser Rechtsverletzung ermöglicht, ist nicht wirksam, ermöglicht politische Einflussnahme auf den ORF und steht daher im Widerspruch zur Rundfunkfreiheit, die durch Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention und das Bundesverfassungsgesetz Rundfunk garantiert wird". (fid, 25.4.2024)